Annette von Droste-Hülshoff

Abschied von der Jugend

Wie der zitternde Verbannte Steht an seiner Heimat Grenzen, Rückwärts er das Antlitz wendet, Rückwärts seine Augen glänzen, Winde die hinüberstreichen, Vögel in der Luft beneidet, Schaudernd vor der kleinen Scholle, Die das Land vom Lande scheidet; Wie die Gräber seiner Toten, Seine Lebenden, die süßen, Alle stehn am Horizonte, Und er muß sie weinend grüßen; Alle kleinen Liebesschätze, Unerkannt … Weiterlesen …

Paul Gerhardt

Danklied

Gott Lob! Nun ist erschollen Das edle Fried- und Freudenwort, Daß nunmehr ruhen sollen Die Spieß und Schwerter und ihr Mord. Wohlauf und nimm nun wieder Dein Saitenspiel hervor, O Deutschland, und sing Lieder Im hohen vollen Chor. Erhebe dein Gemüte Zu deinem Gott und sprich: Herr, deine Gnad und Güte Bleibt dennoch ewiglich! Wir haben nichts verdienet Als schwere … Weiterlesen …

Paul Gerhardt

Gib dich zufrieden

Gib dich zufrieden und sei stille In dem Gotte deines Lebens; In ihm ruht aller Freuden Fülle, Ohn ihn mühst du dich vergebens. Er ist dein Quell Und deine Sonne, Scheint täglich hell Zu deiner Wonne. Gib dich zufrieden! Er ist voll Lichtes, Trosts und Gnaden, Ungefärbten treuen Herzens; Wo er steht, tut dir keinen Schaden Auch die Pein des … Weiterlesen …

Paul Gerhardt

Neujahrsgesang

Nun laß uns gehn und treten Mit Singen und mit Beten Zum Herrn, der unserm Leben Bis hierher Kraft gegeben. Wir gehn dahin und wandern Von einem Jahr zum andern, Wir leben und gedeihen Vom alten bis zum neuen; Durch soviel Angst und Plagen, Durch Zittern und durch Zagen, Durch Krieg und große Schrecken, Die alle Welt bedecken. Denn wie … Weiterlesen …

Paul Gerhardt

Abendlied

Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städt‘ und Felder, Es schläft die ganze Welt; Ihr aber, meine Sinnen, Auf, auf, ihr sollt beginnen, Was eurem Schöpfer wohlgefällt! Wo bist, du, Sonne, blieben? Die Nacht hat dich vertrieben, Die Nacht, des Tages Feind. Fahr hin! Ein‘ andre Sonne, Mein Jesus, meine Wonne, Gar hell in meinem Herzen scheint. Der Tag ist … Weiterlesen …

Joachim Ringelnatz

Aus meiner Kinderzeit

Vaterglückchen, Mutterschößchen, Kinderstübchen, trautes Heim, Knusperhexlein, Tante Rös’chen Kuchen schmeckt wie Fliegenleim. Wenn ich in die Stube speie Lacht mein Bruder wie ein Schwein Wenn er lacht, haut meine Schwester, Wenn sie haut, weint Mütterlein. Wenn die weint, muss Vater fluchen. Wenn er flucht, trinkt Tante Wein Trinkt sie Wein, schenk sie mir Kuchen: Wenn ich Kuchen kriege, muss ich … Weiterlesen …

Joachim Ringelnatz

An Berliner Kinder

Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben, Wenn ihr schlafen gehen müsst? Und sie angeblich noch Briefe schreiben. Ich kann’s euch sagen: da wird geküsst, Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen, Da schleichen verdächtige Gäste herbei. Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen Bis zur Papagei-Sodomiterei. Da wird hasardiert um unsagbare Summen. Da dampft es von Opium und Kokain. Da wird … Weiterlesen …

Theodor Storm

Aus der Marsch

Der Ochse frißt das feine Gras Und läßt die groben Halme stehen; Der Bauer schreitet hintendrein Und fängt bedächtig an zu mähen. Und auf dem Stall zur Winterszeit, Wie wacker steht der Ochs zu kauen! Was er als grünes Gras verschmäht, Das muß er nun als Heu verdauen.

Gottfried Keller

Has von Überlingen

Es war der Has von Überlingen, Der scheut‘ den Märzen wie den Tod; Denn in die Glieder fühlt er dringen Mit ihm des Alters leise Not. Wann nun die Morgenlüfte wehten Nach letzten Hornungs Mitternacht Sah man ihn vor die Türe treten Wie einen Krieger auf die Wacht. Den Krebs geschnallt um Brust und Rücken, Auf grauem Kopf den Eisenhut, … Weiterlesen …

Gottfried Keller

Die Zeit geht nicht

Die Zeit geht nicht, sie stehet still, Wir ziehen durch sie hin; Sie ist ein Karavanserai, Wir sind die Pilger drin. Ein Etwas, form- und farbenlos, Das nur Gestalt gewinnt, Wo ihr drin auf und nieder taucht, Bis wieder ihr zerrinnt. Es blitzt ein Tropfen Morgentau Im Strahl des Sonnenlichts; Ein Tag kann eine Perle sein Und ein Jahrhundert nichts. … Weiterlesen …